Uwe Johnson. BefreundungenGespräche Dokumente Essays |
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Herausgegeben
von Roland Berbig gemeinsam mit Thomas Herold, Gesine Treptow
und Thomas Wild Mit zahlreichen
Abbildungen von Elisabeth Johnson, Renate von Mangoldt, Isolde
Ohlbaum, Toni Richter u.a.
Inhalt
Uwe Johnson
in Hans Werner Richters Politisch-literarischem Salon.
Das Salon-Gespräch mit Franz Josef Strauß,
26. Mai 1964, von Roland Berbig Das ,Du
kam erst in Saulgau. Ein Gespräch mit Toni Richter
über Uwe Johnson und Hans Werner Richter, geführt von
Roland Berbig Johnson,
ziemlich deutsch. Klaus Wagenbach im Gespräch
über Uwe Johnson, geführt von Roland Berbig und Florian
Petsch Aber es
gibt ein Schweigen, das nicht ganz unvernehmbar ist. Ein
Gespräch mit Reinhard Baumgart über Uwe Johnson,
geführt von Gesine Treptow und Thomas Wild Ein Stein,
aus dem keine Quelle schießt, wirklich nicht. Peter
Wapnewski und Uwe Johnson, von Thomas Herold un dann
hebbt wi op platt snackt. Ein Gespräch mit Peter
Rühmkorf über Uwe Johnson, geführt von Roland
Berbig Johnson
ist in mancher Hinsicht begriffsstutzig. Ein Gespräch
mit Tankred Dorst über Uwe Johnson, geführt
von Thomas Herold und Thomas Wild Der fremde Freund.
Marianne Frisch und Uwe Johnson, von Thomas Herold und
Thomas Schulz Ruhe!
Walter Kempowski soll weiterschreiben! Wie zwei
Mecklenburger Schriftsteller ein Auge aufeinander haben, sich
lesen und lektorieren, von Gesine Treptow Having
learned my lesson. Margret Boveris Autobiographie
Verzweigungen und ihre Bearbeiter Elisabeth und Uwe
Johnson, von Roland Berbig Lotte Köhler und Uwe Johnson. Briefwechsel
1971-1983, herausgegeben von Roland Berbig Unbefangen konnte ich Uwe Johnson nicht gegenübertreten Ein Gespräch mit Hans Dieter Zimmermann über seine Begegnungen mit Uwe Johnson, geführt von Roland Berbig, Gesine Treptow und Thomas Wild Kommt
nicht in die Tüte! Werner Düttmann und
Uwe Johnson, von Martina Düttmann Der vierte
Band ist entweder ein Selbstmordversuch oder es ist der Versuch,
eine Tür aufzustoßen. Ein Gespräch mit
Thomas Brasch über Uwe Johnson, geführt von
Thomas Wild Uwe Johnson an Christine Jansen, 26. August 1982 |
Dieses Buch verrät mehr über Uwe Johnson, als alle bisher erschienenen Monographien über Johnson zusammengetragen haben und wäre deshalb vielleicht sogar von Johnson, hätte er sein Erscheinen erleben können, zurückgewiesen worden: zu persönlich! (Heinz Ludwig Arnold) Befreundungen ein ungewöhnliches
Wort. Peter Rühmkorf gebraucht es im Gespräch über
Uwe Johnson. Vertraut und doch fremd, korrespondiert es mit dem
Titel "Verzweigungen", den Johnson über die von
ihm herausgegebenen Lebenserinnerungen der Journalistin Margret
Boveri setzte. Als Titel unseres Buches zielt "Befreundungen"
auf Personen, auf Begegnungen und Situationen, die in Johnsons
Lebensgang eine unverwechselbare Rolle spielten. Die angedeutete
Vielfalt spiegelt sich wider in den unterschiedlichen Textsorten:
neben dem Gespräch der erinnernde Essay, neben dem archivarischen
Dokument die weiter ausholende Abhandlung. Im Gegensatz aber
zu den "Verzweigungen" Boveris geht es hier nicht darum,
eine geschlossene Lebenslinie zu skizzieren. Viel eher sollen die ,lauten, nur in den Grundfarben gemalten Bilder, die unsere Vorstellung vom Lebensgang Johnsons beherrschen, abgetönt werden. Jene Bilder zeigen ihn als detailfanatischen Schriftsteller, der sich der Akribie und Faktentreue verschrieben hatte, oder als feinfühligen, aber gnadenlosen Freund. In ihnen geistert er, schwarz gekleidet mit Lederschlips, als Inbegriff eines unerbittlichen Wahrheitswillens und absoluten Gerechtigkeitssinns. Wir sehen in ihm das politische Opfer, das sich jeder Vereinnahmung widersetzte, und schließlich einen Menschen, dessen Leben, zerstört durch Alkohol und Beziehungsverlust, tragisch endete. Alle diese Bilder stimmen - und sie stimmen nicht. |
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Besprechungen
Über Freundschaften und Befreundungen, Fremdeln und Eigensinn Eine "regionale Gottheit", in deren Namen man sich findet, nennt Peter Rühmkorf im Gespräch Uwe Johnson. Abgemildert soll das heißen: Im Kreise von gewesenen DDR-Bewohnern sei Johnson zu einer Identifikationsfigur geworden. Nun ist dieser Kreis nicht besonders groß. Und ohne die Verfilmung der Jahrestage wäre er vielleicht noch kleiner. Dennoch ist die Beziehung von einzelnen Menschen aus jenem Staate zu Uwe Johnson so innig, dass sie die Literaturwissenschaftler Roland Berbig und Erdmut Wizisla schon Anfang der neunziger Jahre interessierte.
Fragen Sie doch Gesine Cresspahl! Der schwierige Freund: Uwe Johnson, gesehen mit den Augen seiner Gefährten In einem Brief an Max Frisch findet sich Johnsons eigene Beschreibung seines Arbeitsplatzes: "Unter der Treppe ein ausgebautes Kellergeschoß, tiefer als die Straße liegend, das hat vorn als Ausblick besten Falles Passanten und Autos in merkwürdiger Verkürzung, nach hinten zwar den Garten. Wer da aber ein komplettes Büro unterbringen könnte und beim Schreiben nicht aus dem Fenster sehen will, dem macht das nichts." Ihm machte das nichts. Das komplette Büro ist karg eingerichtet. Ein Foto von 1984 zeigt auf dem nackten Fliesenboden einen gut zwei Meter langen, sperrigen Schreibtisch, rechts davor ein Klapptischchen mit Stövchen, links davor einen kleinen Tisch mit elektrischer Schreibmaschine und breiter Bürolampe; neben der Schreibmaschine links einen Weltempfänger, rechts die aufgeschlagene Agenda; gegenüber dem Schreibplatz an der Wand eine große Bahnhofsuhr mit römischen Ziffern; auf dem Schreibtisch zwei Pfeifen, Pfeifenstopfer und Aschenbecher, verstreut Papiere, Briefe, ein Päckchen, ein offenes Buch. So hat Uwe Johnson seinen Schreibplatz hinterlassen, an dem er wohl bis zum 22. Februar 1984 gearbeitet hat, denn die Agenda war bei diesem Tag aufgeschlagen. In dem kleinen Pub, wo er regelmäßig seine Pints trank, wurde er an diesem 22. Februar zum letzten Mal gesehen. Drei Wochen danach, am 13. März, öffnete man das Haus und fand den Schriftsteller tot im Wohnzimmer, vornüber aus dem Ledersessel gefallen, den Kopf am Couchtisch angeschlagen. Er hatte offensichtlich getrunken, wie immer viel getrunken. Er wurde nur 49 Jahre alt. Im Wohnzimmer hing, neben einer großen Landkarte und alten Stichen von Mecklenburg, ein Gedicht von Thomas Brasch, ausgeschnitten aus dieser Zeitung und gerahmt. Brasch hatte es anderthalb Jahre zuvor, im Herbst 1982, nach einem Besuch bei Johnson geschrieben und ihm gewidmet; darin die Zeilen: "Und wie in dunkle Gänge / mich in mich selbst verrannt, / verhängt in eigne Stränge / mit meiner eignen Hand." Das Gedicht benennt Uwe Johnsons tiefe Depression der letzten Lebensjahre und einen Verfolgungswahn, in den er sich damals so unbedingt hatte fallen lassen - vor allem mittels der fortwährenden Ineinanderspiegelung seiner jahrelangen Schreibhemmung und des angeblichen Verrats seiner Frau Elisabeth an ihm und dem Projekt "Jahrestage". Es ist durchaus denkbar, darin die Instrumentalisierung eines nur vorgeblichen Verrats zur Erklärung der Schreibhemmung zu sehen. In der letzten seiner Frankfurter Poetikvorlesungen, veröffentlicht unter dem Titel "Begleitumstände", hatte Johnson 1979 mitgeteilt, was er als Grund für seine Schreibhemmung gelten und ansehen lassen wollte: Im Juni 1975, als er den letzten Band habe abschließen wollen, sei ihm nämlich eröffnet worden, seine Frau Elisabeth habe über anderthalb Jahrzehnte, seit 1961, während Johnson schon in West-Berlin lebte und sie in Prag noch studierte, ein Verhältnis mit einem "Vertrauten" des tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienstes. Später behauptete er gar, die Tochter Katharina sei nicht von ihm. Solange niemand von dieser Eröffnung wußte, deren Wahrheitsgehalt mehr als zweifelhaft ist, lebte die Familie Johnson zusammen in Sheerness, unternahm auch noch eine gemeinsame Reise in die Vereinigten Staaten. Erst 1978, als ein Kritiker den privaten Fall zu einem öffentlichen zu machen sich anmaßte, trennte sich Johnson von Frau und Tochter, die fortan, ein paar Blocks entfernt von der Marine Parade, ebenfalls in Sheerness lebten. Sie haben, soviel man weiß, nie wieder miteinander gesprochen. Das war die Situation, als der Schriftsteller Thomas Brasch Johnson 1982 besuchte. Um Johnson abzulenken von seiner paranoiden Vorstellung, der tschechische Geheimdienst habe an seinen "Jahrestagen" gleichsam mitgeschrieben, hatte er Johnson vorgeschlagen, den vierten Band der "Jahrestage" nicht mehr auszuschreiben, sondern nach den drei komponierten Bänden als reine Sammlung des recherchierten Materials zu veröffentlichen. Johnson, der wohl gespürt hat, daß dieser Vorschlag nicht seriös, sondern eher als "pädagogische Maßnahme" gemeint war, bekam, so Brasch, "einen Wutanfall" und fragte ihn, ob er ihm nicht zutraue, "den Roman zu Ende zu schreiben". Er hat ihn zu Ende geschrieben. Am 17. April 1983, ein Jahr später, setzte er den letzten Punkt unters Manuskript - Band 4 der "Jahrestage" erschien im Herbst dieses Jahres. Diese Geschichte hat Thomas Brasch im März 2001, wenige Monate vor seinem Tod, Thomas Wild erzählt, und sie ist, als ausführliches Gespräch, abgedruckt in dem Band "Befreundungen", der Gespräche, Dokumente und Essays über Uwe Johnson sammelt, die von Roland Berbig, Thomas Herold, Gesine Treptow und eben Thomas Wild geführt, beschafft und geschrieben wurden. Er setzt damit die Recherchen über Uwe Johnson fort, die Roland Berbig und Erdmut Wizisla 1993 in dem Band "Wo ich her bin. Uwe Johnson in der D.D.R." begonnen haben. Uwe Johnson war niemandem ein leichter Freund. Davon erzählen die "Befreundungen". Dieses Buch, ebenso wie das erste, verrät mehr über Uwe Johnson, als alle bisher erschienenen Monographien über Johnson zusammengetragen haben - und wäre deshalb vielleicht sogar von Johnson, hätte er sein Erscheinen erleben können, zurückgewiesen worden: als zu privat, zu persönlich. Denn vor allem erzählt "Befreundungen" seine Geschichten authentisch - keineswegs verklärend, sondern nüchtern und manchmal ziemlich kritisch; denn es berichten alle, die mit ihm befreundet waren, die ihm näherstanden oder unmittelbar mit ihm zu tun hatten. Und manches erzählen die Herausgeber nach auf Grund genauester Recherchen im Johnson-Archiv. So rekonstruiert Roland Berbig das Verhältnis Johnsons zu Wolfgang Neuss, der über Johnson schrieb: "Ich verliebte mich in diesen Fleischkoloß. Alles ist Ironie. Er ist keine." Berbig erzählt über beider intensive Beziehung in ihrer Berliner Zeit, auch über die Gruppe 47, und beschreibt die Spannung zwischen Neuss, der Johnson damals "für eine operativ wirkende Kunst gewinnen wollte", und Johnson, der sich diesem Ansinnen verweigerte, weil alles, was Neuss mit seinem Öffentlichkeitsdrang bewußt bewirken wollte, Johnson schon als bloß zufälliges Ergebnis seiner Schriftstellerei abstieß. Und lange nach Johnsons Tod hinterließ Neuss die Bemerkung: "Seitdem Uwe tot ist, hab' ich bei ihm gelesen, daß das Ehrliche und die Wahrheit nicht das Letzte sind. Es ist die Genauigkeit." Auch Klaus Wagenbach benennt ausdrücklich Johnsons "Sucht nach Wahrheit", der kaum jemand habe standhalten können, und bezeichnet Johnson als einen sehr deutschen Autor: "gründlich, sauber, wahrheitsbesessen". Eine andere Recherche Berbigs gilt Johnsons Beziehung zu Hans Werner Richters "Politisch-literarischem Salon" in Berlin, aus dem so manches Gespräch über den Funk und später übers Fernsehen ging. Eines, vom 26. Mai 1964, ist hier abgedruckt, in dem Richter eine Gesprächsrunde von Johnson mit dem Intendanten des NDR Ernst Schnabel, dem Soziologen Theo Pirker und Franz Josef Strauß moderierte zur Frage, ob der Kalte Krieg nun zu Ende gehe oder die Blöcke sich auflösten - ein Lehrbeispiel für die eloquente Sprachlosigkeit zwischen Intellektuellen und Politikern. Und Toni Richter, die Frau des Gruppe-47-Häuptlings, ergänzt Berbigs Bericht um anekdotenhaltige Auskünfte über die Treffen der Gruppe, an denen Johnson regelmäßig teilgenommen hat, und aus der Berliner Zeit, in der ihr Haus ein Zentrum der Berliner Schriftsteller war. Eines der für Johnsons literarische Bezüge aufschlußreichsten Gespräche hat Reinhard Baumgart geführt, für den Johnson ein "Riese im Nebel" war: ein einsamer Mann und ein ängstlich Liebender, der Angst hatte vor Verrat und auf Treue bestand; darin sei er konservativ, ja altmodisch gewesen. Baumgart hat Johnson und sein Werk von Anfang an kritisch begleitet und ihm 1971 auch die Büchnerpreis-Rede gehalten, nachdem Hannah Arendt Johnsons Wunsch, sie möge ihn laudieren, nicht entsprochen hatte. Von Baumgart stammt auch der Hinweis auf Johnsons erstaunliche Arbeitsweise "mindestens für die ersten drei Bücher": "Ein Jahr lang sitzt da jemand und denkt seinen Roman aus, ohne eine Notiz, das ist wichtig, und ein Jahr schreibt er." Was erklären würde, wie sehr selbst nach den Niederschriften seiner Bücher Johnson sich noch in ihrer Landschaft bewegte und mit deren Personal umging: als seien seine fiktiven Romanwelten Realität. Dazu hat einer seiner wenigen wirklichen Freunde, Jürgen Becker, gesagt: Johnson sei der rigoroseste Autor gewesen in seiner Methode, die Fiktion für die Wirklichkeit zu nehmen; und er habe seine Figuren mehr geliebt als die Menschen. Das erfuhr so mancher, der nach 1975 mit Johnson in Berührung kam und mit ihm über die "Jahrestage" sprach. Sie waren seine Lebens-Welt, in der er dachte, mit deren Personen er umging wie mit seinesgleichen. Fragte man ihn nach einem Detail aus Gesine Cresspahls Welt, so antwortete er mit seiner tiefen Stimme: Das weiß ich nicht. Fragen Sie Gesine Cresspahl selbst. Peter Rühmkorf übrigens lehnte die "Jahrestage" entschieden ab: "Eine Kapitulationsurkunde. Es kommt ja außer Zeitungslektüre nicht sehr viel Weltbewegendes vor, (. . .) und da schleift er dann auch noch diese Cresspahl-Familie wie einen Schlagschatten seiner eigenen Vergangenheit hinter sich her, als ob sich das Plusquamperfekt unendlich verlängern ließe . . ." - aber gesagt hat er es dem guten Bekannten und halben Freunde nicht: "Wir sind immer gutartig miteinander umgegangen." Aber nicht immer ganz ehrlich. Die "Befreundungen" - der Titel stammt immerhin von Rühmkorf - sind eine Fundgrube überraschender Eröffnungen und Erfahrungen. So berichtet Peter Wapnewski, der sich mit Johnson duzte, daß sie während ihrer Freundschaft nie über Literatur gesprochen haben. Und er charakterisiert des Freundes Welt als eine "Welt der Ordnung, der Geradlinigkeit, der Rechtwinkligkeit . . ."; was sich nicht nur mit Wagenbachs Urteil trifft. Aber das Buch liefert auch eine Fülle von Beglaubigungen, die sich mit Urteilen über Johnson und sein Werk (Baumgart: Johnsons Werk sei von seiner Person nicht zu trennen) verbinden - und was hier erzählt wird, sind nur ein paar besonders charakterisierende Bruchstückchen aus viel größeren Zusammenhängen. So berichten unter anderen Tankred Dorst und Marianne F Johnson das große Thema des politischen Verrats. All diese Geschichten aber handeln von Befreundungen unterschiedlicher Art. Uwe Johnson war all diesen Freunden kein leichter Freund. Denn er nahm sie ernst, manchmal wohl sogar ernster alrisch über ihre frühe und Johnsons zuweilen heikle Freundschaft mit Max Frisch; Walter Kempowski erzählt, wie er Johnson ein freundlicher, Johnson ihm aber ein heftiger Lektor war; und mit Margret Boveri verbands sie sich selbst. Heinz Ludwig Arnold, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Der Schwierige Uwe Johnson und seine Freunde Gäbe es den Titel des problematischsten Autors der Nachkriegszeit, er stünde unbestritten Uwe Johnson zu. Die vor einigen Jahren publizierten Briefwechsel mit Frisch und Unseld haben noch einmal eindrucksvoll belegt, aus welchem Holz dieser Schriftsteller, dieser Mensch geschnitzt war. Es begann, wie so oft, mit einem Paukenschlag, der um einiges sonorer, gewissermassen erwachsener ertönte als die gleichzeitigen Blechtrommel-Wirbel eines Günter Grass: Erst recht hier, in den «Mutmassungen über Jakob», im Roman eines Fünfundzwanzigjährigen, fand man, beginne die eigentliche deutsche Nachkriegs-Moderne. Im selben Jahr, 1959, «zog» der junge Johnson «um» von Ost nach West, traf in der Gruppe 47 hellhörige Kollegen, Streitgenossen, Freunde. Auch im Zwischenmenschlichen setzte er Massstäbe, lehnte jedes Lavieren ab, forderte Loyalität. Verlässlichkeit, Freundschaft, Verrat - das sollten seine zentralen Themen bleiben, im Schreiben wie im Leben. - In zwei Punkten kann kein Zweifel bestehen: dass in seinem Kopf «wirklich was los» war, wie der Kritiker Reinhard Baumgart es ausdrückt, allerdings auch sehr viel Ungereimtes, und dass sein Charakter als «ungeheuer schwierig» zu bezeichnen ist. Er faszinierte nicht allein durch das Eigentümliche seiner Texte, sondern auch durch Eigentümlichkeiten des Auftretens und der Selbstdarstellung, durch das Aufrechte und Fordernde, aber auch das Umständliche und Pedantische, kurzum das «sehr Deutsche» (so der Verleger Klaus Wagenbach) seines Wesens; er gewann schnell Freunde, und zugleich setzte er diese Freundschaften durch eine Unerbittlichkeit und Rigorosität aufs Spiel, auf die alle Zeugen seines ruhmreichen und unglücklichen Lebens, das 1984 einsam zu Ende ging, früher oder später zu sprechen kommen. «Freundliche Feindseligkeit» (Baumgart), das ist wohl die Art von Beziehung, die der Schriftsteller mit vielen Kollegen unterhielt. Jeder wusste - so formuliert es Tankred Dorst -, «wie leicht man sich mit Johnson verkrachen konnte». Der Briefwechsel Johnsons mit Max Frisch etwa offenbart eine eigenartige Disproportionalität des Tons, die Dorst geradezu «komisch» findet: «Frisch war ja der ältere, sozusagen die Respektperson der beiden»; doch Frisch behandelt den jüngeren Freund und Kollegen wie ein rohes Ei, ohne letztlich die Abkühlung des Verhältnisses und das Versiegen des Kontaktes verhindern zu können. «Befreundungen» heisst der aufschlussreiche Band, der nun in Aufsätzen und ausführlichen Gesprächen mit Freunden oder «Freunden» solche Verhältnisse rekonstruiert; er könnte genauso gut «Entfremdungen», wenn nicht gar «Unaufhaltsame Verfeindungen» heissen. Es klingt trivial, aber natürlich entsprach Johnsons Schreibweise seinem Charakter: kompliziert, hermetisch, überhaupt nicht lakonisch, wie es irrtümlich oft heisst, sondern zu aufwendigen Maskierungen neigend, dabei noch im Verspielten und scheinbar Lässigen streng - und angestrengt. Johnson war sich seines Wertes bewusst, aber er schien zu bezweifeln, dass andere ihn ebenso erkannten. Er war so empfindlich wie selbstbewusst. Dabei gab er in seinem Schreiben wenig auf Psychologie. Er hatte einen forschenden Blick auf die Dinge, auf technische Abläufe, auf politische Zusammenhänge, aber er schrieb, wie Tankred Dorst zuspitzend bemerkt, «eigentlich ohne die Kenntnis der Psychologie von Personen». Dieser Aspekt schien ihn einfach nicht zu interessieren. Oder sollte er tatsächlich, nach Dorst, «in mancher Hinsicht begriffsstutzig» gewesen sein? Ein Kapitel
für sich ist der Umgang von Verlegern und Lektoren mit Johnsons
Werk. Der erste Roman, «Ingrid Babendererde», wurde
von Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld (der wie kein anderer
den Autor später förderte) zurückgewiesen; viele
kritische Leser (etwa Baumgart oder Rühmkorf) halten gerade
dieses für ein besonders schönes und im besten Sinn
frühreifes Werk. Baumgart, ein Wegbegleiter mit Lücken
(infolge von Krächen), hätte - wäre es nach dem
Willen des Autors gegangen - das Opus magnum «Jahrestage»
lektorieren sollen, war aber der Meinung, dass Johnson im Grunde
keinen Lektor benötigte (vielmehr selbst ein eminent guter
Lektor war). Wagenbach wiederum hätte als Verleger geraten,
die «Jahrestage» zu kürzen. Der im Suhrkamp-Verlag
überaus hoch geschätzte und wenig kritisierte Autor
(wollte man auch dort keine Kräche riskieren?) habe durch
diese pflegliche Behandlung ein «mögliches Lesepublikum»
verloren. Selbst von den hier zu Wort kommenden intimen Johnson-Kennern
scheint übrigens kaum einer die «Jahrestage»
komplett gelesen zu haben, den fleissigen Baumgart vielleicht
ausgenommen. Fast alle aber geben freimütig zu, jeder der
vier Bände habe ausgesprochen schöne Stellen.
Der schwierige Freund Im Jahr 1993 erschien im Berliner Kontext-Verlag das vielbeachtete Lesebuch "Wo ich her bin. Uwe Johnson in der D.D.R.", das sich mit dem Autor aus nachholender ostdeutscher Sicht auseinander setzte. Nun haben die beiden damaligen Herausgeber Roland Berbig und Erdmut Wizisla das Thema Uwe Johnson noch einmal aufgenommen. Es geht um Freundschaft und wie schwer, fast unmöglich es für Zeitgenossen war, über einen längeren Zeitraum mit Uwe Johnsons auszukommen oder er mit ihnen. Uwe Johnson konnte sich zerreißen für eine Freundschaft, war aber unerbittlich bis zur Todfeindschaft, wenn jemand seine Liebe nicht in gleichem Maße erwiderte. Das Maß bestimmte Johnson, und so spricht das Buch "Befreundungen" oft vom Gegenteil dem Ende einer Freundschaft. Johnsons "Neigung zur Eifersucht, zum Insistieren, zu selbstzerstörerischem Mißtrauen" (Erdmut Wizisla) zieht sich wie ein Faden durch das Buch, das sowohl Interviews mit Zeitgenossen als auch Essays des Herausgebers Roland Berbig und seiner Mitarbeiter Thomas Herold, Gesine Treptow und Thomas Wild enthält. In einem Nachruf der Frankfurter Rundschau auf Siegfried Unseld stand der Satz, dass das Unerbittliche jener Zeit, Mitte des 20. Jahrhunderts, zu einer "zärtlichen Erinnerung" geworden sei. Was Uwe Johnson angeht, wollen sich einige, wie Martin Walser oder Hans Magnus Enzensberger, dann doch lieber nicht erinnern. Andere tun das nicht unkritisch. Es gibt offene Wunden und offene Rechnungen, es gibt Klatsch über die Gruppe 47 und Erinnerungen an das Westberlin vor der Studentenbewegung, in dem es offenbar schwer war, sich aus dem Weg zu gehen. Autoren und ihre Vermittler haben auf hohem Niveau zusammengegluckt. Klaus Wagenbach erinnert sich an die Zeit, als Ingeborg Bachmann in Berlin lebte und man sich zum Frühstück traf. "Das fand einmal bei Johnson statt, einmal bei Grass, einmal bei Ingeborg, einmal bei mir. Immer sonntags, immer um elf. Das hörte dann auf, weil diese Sonntage danach im Eimer waren. Die Frühstücke dauerten nämlich bis nachmittags, dann waren alle besoffen, und du konntest keinen Schritt mehr tun." Überraschend ist die Beziehung Johnsons zu Wolfgang Neuss, der sich lange um eine Freundschaft bemühte. Interessant zu lesen ist die von Hans Werner Richter organisierte öffentliche Salondiskussion mit Franz Josef Strauß über den Kalten Krieg, an der auch Uwe Johnson teilnahm. Beide Kapitel zeigen Johnson als politischen Menschen, der sich in die öffentlichen Diskussionen Anfang der sechziger Jahre einmischte. Dazu gesellen sich die unaufgeregten Erinnerungen der Kollegenwitwen, Tankred Dorst redet über Johnson in der Rolle eines evangelischen Pfarrers in einem seiner Filme, und die Studienkollegin aus Leipziger Zeiten, Christine Jansen, hat einen traurig-schönen Brief Johnsons aus seiner Einsamkeit in Sheerness beigesteuert. Immer wieder geht es um die Frankfurter Vorlesungen, in denen Johnson seine Privatsphäre ausbreitete. Viele der Befragten haben Johnsons Hauptwerk, die Jahrestage, nicht zu Ende gelesen oder wollten sie radikal kürzen wie Klaus Wagenbach. "Ich hätte ihm den vierten Band verboten!", sagt Thomas Brasch. Reinhard Baumgart, dem Johnson das Lektorat antrug, lehnte ab und sagt im Nachhinein: "Ich hätte, glaube ich, die langen Zitate aus der New York Times problematisiert." Rühmkorf hat das Buch unendlich gelangweilt: "Eine Kapitulationsurkunde." Und Peter Wapnewski, der in Frage stellt, dass überhaupt jemand die vier Bände gänzlich gelesen hat, meint im Nachhinein: "So wie ich Wagner-Opern kürzen würde, würde ich auch Johnsons "Jahrestage" kürzen." Die Erinnerung ist mitunter trügerisch, so als Reinhart Baumgart erzählt, sich am Abend nach der Büchner-Preisverleihung mit Johnson über die Fernsehbilder der Verhaftung Ulrike Meinhofs so verstritten zu haben, dass die Freundschaft faktisch beendet war. Nur, Ulrike Meinhof lebte 1971 noch im Untergrund. Im Polizeigriff war die Terroristin Margrit Schiller. Was im ersten Moment wie ein Fehler erscheint, sagt doch viel über die rückwärtige Sicht der Protagonisten auf diese Zeit. Johnson und Meinhof, das passt besser zusammen als Johnson und Margrit Schiller. Meinhof war eine Intellektuelle, eine außergewöhnliche Journalistin, die auch in der Gruppe 47 keine Unbekannte war. Die Erinnerung Baumgarts wird zur künstlerischen Verdichtung - zwei Ikonen der alten, zur Geschichte gewordenen Bundesrepublik auf einem Bild. Denn beide - Meinhof wie Johnson gehören zu ihrem Mythos. Was die moralische Rigorosität der beiden angeht, standen sich die fast Gleichaltrigen in nichts nach, die Konsequenzen waren nur verschieden tödlich war sie für beide. Vielleicht sollte dieser Fehler in einer späteren Auflage nicht korrigiert, sondern eher kommentiert werden, wie vieles andere in diesem mit reichlich Anmerkungen versehenen, in seiner Dichte und Qualität heterogenen Band. Peter Rühmkorf spricht von Uwe Johnson als einer "Regionalen Gottheit", der zum Gemeindebildner wurde. Im allerletzten Satz des 544 Seiten starken Buches bekennen sich die Herausgeber dann auch indirekt zur Mitgliedschaft. Der beeindruckendste Text findet sich am Ende: Thomas Brasch spricht über Uwe Johnson, das Ankommen im Westen, Poetologisches, den "writers block" und eine Todesart, der er nur wenige Monate nach dem Interview selber erliegt. Da spricht einer auf vorausahnende Weise von sich selbst und wenn man dieses Ende kennt, liest man atemlos jede Zeile. Johnsons Problem, das riesige Konvolut seiner Jahrestage nicht bündeln zu können und darüber die Bindung an die Welt zu verlieren - ähnlich ging es Brasch mit seinem Mädchenmörder Brunke. Über allen Wortmeldungen aber liegt ein Schweigen das von Elisabeth Johnson.
Von der mehr als nur norddeutschen Verschwiegenheit des in sich gekehrten Erzählers ist oft die Rede in dem schönen, aufschlussreichen Band »Befreundungen« mit Gesprächen, Dokumenten, Essays, den Roland Berbig herausgegeben hat. Der Berliner Literaturwissenschaftler und seine Mitherausgeber haben Menschen befragt, die dem so früh Gestorbenen im Leben oder in der (Zusammen-)Arbeit nahe gekommen sind wenn man diesem »wortkargen, mürrischen, auch unduldsamen« Mann, wie ein anderer Mecklenburger, Walter Kempowski, sich erinnert, überhaupt nahe kommen konnte: »Man war an seiner Brust nicht weich gebettet.«
Bruch in Darmstadt Befreundungen Briefe und andere Zeugnisse zeigen Uwe Johnson als ebenso treuen wie nachtragenden Menschen *[Anm. des Verlages: Bei den Bildern im Fernsehen handelt es sich nicht um die Festnahme Ulrike Meinhofs, sondern um die von Margrit Schiller. In der Erinnerung Reinhard Baumgarts haben sich die Bilder verwechselt, so auf den Seiten 175, 215 und 225 des Buches. Wir bitten vielmals um Entschuldigung.]
Freundschaften mit Schrecken Es gibt also doch noch positive Überraschungen in der literarischen Welt. Leider nicht im Suhrkamp-Verlag, der ja früher einmal der Verlag Uwe Johnsons war. Ein kleiner Berliner Verlage ist für Siegfried Unselds Platzhalter eingesprungen und hat ein Buch vorgelegt, das man nicht anders als großartig nennen kann.
Aufmerksamkeiten Heinz-Ludwig Arnold, [Besprechung im Bücherjournal], Hessischer Rundfunk, hr2, 19. Februar 2003, 20.05-20.30 Uhr Heinz-Ludwig Arnold, Fragen Sie doch Gesine Cresspahl! Der schwierige Freund: Uwe Johnson, gesehen mit den Augen seiner Gefährten. In:Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Mai 2003, Nr. 114, S. 46 |