annett gröschner

 

 

 

 

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Annett Gröschner erinnert sich an 25 Jahre DDR, 1 Jahr Anarchie und 9 Jahre BRD ...

 

I. Meine Geburt

Erste und wichtigste Voraussetzung, daß ich hier nachdenken darf, ist ein Ereignis, an das ich persönlich mich nicht erinnern kann – meine Geburt. Man hat solche wie mich später in der DDR gern die "Hineingeborenen" genannt. Wir konnten rein gar nichts dafür, müssen uns aber bis heute oft dafür rechtfertigen, daß es der falsche Meridian war, auf den man uns geworfen hat. Bei mir kam strafverschärfend noch Magdeburg hinzu.

Ich persönlich kenne 25 Jahre DDR, ein Jahr Anarchie und neun Jahre Bundesrepublik, wobei mir das Jahr Anarchie am besten gefallen hat. Man gab sich Mühe, aus uns gute DDR-Bürger zu machen, und in der Schule fragte die Klassenlehrerin hinterhältig, ob die Uhr vor den Nachrichten Ziffern oder Striche hätte.

Ich weiß bis heute nicht, welche Seite welche Uhr bevorzugte. Die Lehrerin war der Staat und die Gesellschaft der Schulhof. Und da zählte nur derjenige, der eine Jeans und einen Pelikan-Füller aus dem Westen hatte. Meiner wurde mir schon nach einem Monat geklaut, und eine Westjeans bekam ich erst zur Jugendweihe, weswegen ich viele Jahre gesellschaftlich eine Null war.

II. Das Sparwassertor

Das Tor von Sparwasser in der 78. Minute des 22. Juni war das Ereignis des Jahres 1974 und wahrscheinlich einer der Gründe, warum die DDR noch fünfzehn Jahre länger bestand, obwohl die Mannschaft hinterher wieder grottenschlecht wurde.

III. Wie Biermann ausgebürgert wurde und das Volk noch ganz andere Probleme hatte

Im Jahr der Biermann-Ausbürgerung war ich zwölf Jahre alt. In Magdeburg rumorte es. Aber nicht wegen Biermann, sondern weil der Mixkaffee eingeführt worden war. Der Mixkaffee bestand nur noch zur Hälfte aus Bohnenkaffee, der Rest war Malz oder Zichorie, und die Leute befürchteten, jetzt würde ihnen auch noch die letzte Freude genommen, wo es doch auch die guten Zigaretten nur noch unter der Kasse der Kaufhalle gab.

In der Schule erzählte man uns, daß einer unser Land verraten habe. Am Abend sah ich ihn im Fernsehen, aber nur ganz kurz, denn mein Großvater schaltete auf den anderen Westsender, und da gab es eine Sendung über Paare, die sich im Bett nicht mehr verstanden. Ich sehe die Szene noch vor mir. Mann und Frau knien jeder auf seiner Seite des Ehebettes und haben verzweifelt ihre Gesichter in die Kissen gedrückt. Ihre Ärsche zeigen in die Luft. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich dachte, es sähe immer so aus, wenn Paare sich stritten.

Vier Jahre später erbte ich das alte Tesla-Tonband meiner Eltern. Der Motor funktionierte nach sechzehn Jahren nicht mehr so richtig, weswegen ich das Band während des Abspielens mit der Hand auf die Spule wickeln mußte, was die Musik arg verleierte. Biermann klang sehr traurig und sang sehr langsam. Ich erkannte seine Stimme später nicht sofort, als ich eine richtige Aufnahme hörte.

IV. Platzangst auf der Oberbaumbrücke

An dem Tag, an dem Schabowski, von wem auch immer, eine Presseerklärung hereingereicht bekam, daß unsereins jederzeit ausreisen dürfe, hing ich nachts am Radio und hörte, wie die Leute über die Grenze an der Bornholmer Straße gingen. Mich hatte schon immer interessiert, ob die Numerierung der Häuser auf der anderen Seite weiterging, denn es fehlten auf der Ostseite ein paar Nummern.

Ich überlegte, ob ich mein Kind wecken und mit dem Kinderwagen um die Ecke zur Grenze fahren sollte. Ich dachte dann aber, das arme Kind, soll ich es jetzt aus dem Bett zerren, nur weil die Mauer offen ist? Alleine gehen wollte ich auch nicht, aus Angst, sie könnten wieder zumachen, und so lag ich schlaflos im Bett und dachte, Scheiße, jetzt gehen die großen Ereignisse ohne dich vorbei. Am nächsten Tag fuhr ich zur Oberbaumbrücke. Dort staute sich die Frühschicht aus dem Glühlampenkombinat.

Na, biste ooch glücklich, fragte der Mann neben mir und packte seine fetten Leberwurstbrote aus. Ich war überhaupt nicht glücklich, sondern bekam Platzangst. Ich wollte wieder zurück, aber das ging auch nicht. Manchmal denke ich, ich stehe noch heute auf dieser Brücke und gehöre weder da noch dorthin.

V. Ich besuche Frau S. und bin froh, kein Republikkind gewesen zu sein

Das letzte Ereignis ist eine Erinnerung an die Urhineingeborenen. Anders als die ganzen Milleniumskinder, die ­ unlängst gezeugt ­ noch in der Suppe schwimmen, hatten die Eltern der Republikskinder aus Versehen auf den Punkt genau getroffen, wer konnte denn damals schon wissen, daß die ernst machen mit der Teilung.

"Mein Jüngster is am 7. Oktober 1949 geboren. Mit dem haben se allerhand jemacht. Nu war er janz niedlich und fürs Vorzeigen geeignet, wenn wieder 'n runder Geburtstag war. Das erste Mal war hier eene Reporterin von der Friedenspost oder wie die damals hieß, und 'n Fotografen brachte se och gleich mit. Der hat bei uns schöne Aufnahmen gemacht, und dis kam dann auf die erste Seite.

Beim nächsten Mal besuchte uns der Berliner Rundfunk. Mein Mann war auf dem Bau tätig, und det bot sich ja nun an, Aufbau und Republikkind. Da sind se dann auf die Baustelle und haben seinen Vater jesucht. 'N bißchen störend war ja, daß er nich Maurer, sondern Schmied war. Und denn haben se den Kleenen mit zu die Lehrjungen genommen und 'ne schöne Sendung gemacht.

Een Jahr kriegten wir vom Fernsehen 'n Telegramm, wir sollten hinkommen und da waren noch mehr Kinder, die an dem Tag Geburtstag hatten. Mein Sohn hat ihnen aber wohl am besten jefallen, und da haben se ihn ausgesucht für 'ne Kindersendung, die hieß Ein Blumenstrauß für unsre Republik oder so. Während der Sendung kam ein berühmter Schauspieler, den Namen hab ick leider verjessen, und der hat ihm vor laufender Kamera 'ne Tafel Schokolade überreicht, die is aber gleich aufjeweicht, weil det so warm war da drin.

Als er so ungefähr zehn oder fünfzehn wurde, kam die BZ am Abend und hat ihm 'n Sparbuch mit 50 Mark jeschenkt. Irgendwann war er dann nich mehr so scharf drauf, das wurde eher 'ne Last. Wie er 20 wurde, 1969, is er einjeladen worden vom Oberbürgermeister von Berlin, aber da war er bei der Armee. Ick hab noch hingeschrieben an den Korvettenkapitän oder wie der sich da nannte. Mein Sohn kriegte aber nich frei, weil er sich nich so jeführt hat, wie's verlangt wurde von einem Republikkind.

Mit 25 kam nochmal jemand von 'nem Verlagshaus und hat 'n schönet Foto gemacht, und det war's dann. Denn kurz danach ist er ans andere Ende der Republik gezogen, wo man einen Passierschein brauchte, wenn man ihn besuchen wollte, und da blieben die Journalisten aus. Und als er 40 wurde, hatte sich das mit der Republik sowieso erledigt."

[1999]

 

 

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